Strukturelle Pfund-Schwäche versus politische Euro-Schwäche: Brexit eröffnet Chancen für europäische Dividendenzahler
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Die britische Bevölkerung hat für einen Austritt aus der EU gestimmt. Was bedeutet dies für die Wirtschaft und die Anlagenmärkte ganz unmittelbar und kurzfristig?
Bereits in früheren Beiträgen haben wir unsere zentrale These deutlich gemacht: Die strukturellen Ungleichgewichte der britischen Wirtschaft dürften durch den Brexit noch größer werden. Angesichts des großen Leistungsbilanzdefizits von 7 % des BIP wird das Vereinigte Königreich (UK) noch stärker von der Bereitschaft ausländischer Investoren abhängen, ein wachsendes Handelsbilanzdefizit zu finanzieren - es sei denn, das Pfund wertet ab. Wahrscheinlich wird dieser Fall eintreten, wenn Großbritannien den Zugang zum EU-Binnenmarkt verliert. Seine Leistungsbilanz mit UK als Netto-Exporteur in die EU wird wahrscheinlich auf neue EU-Handelsbarrieren treffen. Das gilt auch für den Fall wenn sein Warenaustausch, in dem UK ein Netto-Importeur aus der EU ist, weitgehend unverändert bleiben sollte, um den Vorteil der EU-Mitgliedstaaten bei den Exportgewinnen mit UK zu behalten.
Wie das Diagramm zeigt, beliefen sich die Mittelflüsse in Renten- und Aktienwerte im Vereinigten Königreich 2015 auf 270 Mrd. GBP bzw. 14 % des BIP. Im Vergleich mit Jahren relativer Stabilität während der Zeit nach der Dotcom-Blase und vor der Finanzkrise von 2008 ist das ein extremer Wert. Es ist unwahrscheinlich, dass ausländische Investoren mit Begeisterung in britische Staatsanleihen (Gilts) und FTSE-All-Share-Unternehmen in diesem Ausmaße anlegen werden. Sie werden sich auf die Bestimmungen und Fristen für neue Handelsabkommen laut Artikel 50 berufen, der einzigen Rechtsgrundlage für einen Austritt aus der EU. Demnach werden diese neuen Abkommen über einen Zweijahreszeitraum durch die EU festgelegt, nach dessen Ablauf UK ausgeschlossen sein wird. Da es überdies kein alternatives Handelsmodell gibt, zu dem man zurückkehren könnte, ist über einen erheblichen Zeitraum eine Unsicherheit unausweichlich. Dies wird - zumindest kurzfristig - Investoren dazu verleiten, ihr UK-Engagement zu reduzieren oder vollständig von Investments in Großbritannien abzusehen.
An den Finanzmärkten wird der wunde Punkt beim Pfund Sterling liegen, das bei einer Notierung in einer mehr oder weniger engen Spanne eine erhebliche Intraday-Volatilität aufweist (vgl. unser Brexit-Beitrag von letzter Woche - "Aktienmärkte sollten “Brit-in” noch einpreisen oder “Brexit“-Sorgen abschütteln").
Aktien:
+ Absicherung der UK Mid und Small Caps - Diesem Verlustrisiko sind die Aktien von Unternehmen mit geringerer Marktkapitalisierung ausgesetzt, deren Geschäftsmodelle eher auf das Königreich ausgerichtet sind, oder deren Handel mehr auf Europa ausgerichtet ist. Die Absicherung von Mid und Small Caps aus UK könnte berechtigt sein, denn schließlich spielt sich mehr als die Hälfte des britischen Handels mit der EU ab.
+ Absicherung größerer Aktienmärkte und Sektoren in der Eurozone - Ein Vertrauensverlust wirkt sich auf die breit angelegten Benchmarks sowie Länder- und Referenzindizes der wichtigsten Branchen aus. Anleger, die auf Hausse spekulierende Positionen in breit angelegten oder spezifischen Sektoren der Eurozone oder in deutschen oder italienischen Aktien halten, könnten eine effiziente Absicherung dieser Engagements erwägen, beispielsweise durch den Einsatz von gehebelten Short-ETPs.
+ Defensive Positionierung in UK Large Caps mit hoher Dividendenrendite - Am wenigsten dürften UK Large Caps ungünstige Handelsabkommen zu befürchten haben. Multis aus dem Vereinigten Königreich mit solider internationaler Präsenz und lukrativen Dividendenausschüttungen bieten defensive Alternativen zum Brexit. Sie könnten unterm Strich von verbesserten Exportbedingungen profitieren, sollte das Pfund abwerten. Auch Dividendenzahler unter den Titeln mit kleinerer Marktkapitalisierung könnten zu den Werten zählen, die langfristig am besten negative Folgen auf den EU-Handel meistern können.
+ Exporteure aus der Eurozone, abgesichert - Wenn der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU die politische Instabilität vergrößert und potenziell zu einer Schwäche des Euro führt (der bisher relativ immun gegen die Brexit-Ängste ist), könnte für ausländische Investoren attraktiv erscheinen. Angesichts bevorstehender Parlamentswahlen in Frankreich (Mai 2017) und Deutschland (September 2017), wo euroskeptische Randparteien das Sentiment gegenüber dem Euro belasten könnten, hat ein währungsgesichertes Overlay unter Umständen eine längerfristige strategische Bedeutung.
+ Ähnlich bei unserer Haltung zu UK-Aktien dürften exportorientierte Dividendenzahler die am stärksten defensive Positionierung in Europa darstellen.
Renten und Währungen:
+ Gilts: kurzfristig Anstieg, langfristig problematisch - Eine risikoaverse Einstellung wird möglicherweise die Gilts kurzfristig beflügeln, während die Bank of England allen Grund hat, eine geldpolitische Straffung hinauszuschieben, um die Folgen auf die Stimmung in der Wirtschaft sowie die Auswirkungen eines möglichen wirtschaftlichen Abschwungs abzufedern. Die bereits niedrigen Zinsen von langfristigen Staatsanleihen des Vereinigten Königreichs könnten unmittelbar nach der Abstimmung noch weiter fallen. Darüber hinaus wird das große Makro-Ungleichgewicht offensichtlich werden, wenn in Erwartung einer volatilen und labilen Währung der Status des Pfund-Sterling als sicherer Hafen ins Wanken gerät. – und damit auch die Käufe von Gilts durch ausländische Investoren.
+ Bundesanleihen: Unangreifbarer safe haven - Der bereits sehr aktive Handel mit deutschen Bundesanleihen könnte noch zulegen, wenn die Stimmung für Risikoanlagen, insbesondere bei den Banken der Eurozone, sich deutlich verschlechtert. Negative Renditen von Bundesanleihen werden nicht länger als Abschreckung dienen, da bereits nahezu ein Viertel aller umlaufenden Staatsanleihen aus der Eurozone sich im Bereich negativer Renditen befindet. Solange das QE-Programm der EZB läuft, dürften Bundesanleihen nicht mit größeren Verlustrisiken behaftet sein.
+ Euro-Dollar: Bären-Euro, Bullen-Dollar Der Dollar dürfte von einer positiven Stimmung profitieren, da für den US-Dollar solidere Fundamentaldaten gelten als für den Euro. Die Banken haben stärkere Bilanzen, der Arbeitsmarkt bleibt solide und das Vertrauen der Wirtschaft erweist sich als stabil. Ein relativ großer