Japans BIP auf Höhenflug
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Japans BIP-Bericht für das 2. Quartal deutet darauf hin, dass die Wirtschaft des Landes weiterhin Fahrt aufnimmt mit Blick auf eine Wachstumsbeschleunigung und -ausweitung auf alle Bereiche der heimischen Nachfrage. Während das annualisierte BIP-Wachstum von 4% einen Spitzenwert markiert, bestätigen Einzelheiten des BIP-Berichts voll und ganz unsere Vermutung, dass Japan sich nun in einem selbsttragenden, durch die Binnennachfrage befeuerten Aufschwung befindet. Wir erwarten für 2018/19 weiterhin ein reales BIP-Wachstum von 2-2.5% (und ein nominales BIP-Wachstum von 3-3.5%). Für Entscheidungsträger verringert sich die Schätzungsbandbreite hinsichtlich der Yen-Stärke rapide. Für den Aufschwung in Japan sprechen vor allem die folgenden Faktoren.
Eine positive Lohn- und Einkommensdynamik
Der Arbeitslohn stieg von April-Juni deutlich um 2.6%, womit er absolut betrachtet wieder auf die Niveaus kletterte, auf denen er sich zuletzt 1998/1999 bewegt hatte. Im Gegensatz zu den Daten zahlreicher Arbeitsmarkterhebungen kombinieren die dem BIP-Bericht zugrundeliegenden Lohndaten die Anzahl der Beschäftigten mit dem bezogenen Einkommen. Einfach ausgedrückt: Die Zahlen des BIP-Berichts spiegeln die «Kaufkraft der Einwohner Japans» (jedoch ohne Berücksichtigung Selbständiger und öffentlich Bediensteter) am besten wider. Noch wichtiger: Der Aufwärtstrend bei den Arbeitslöhnen ist strukturell, und nicht bloß zyklisch. Japans demographische Entwicklung beschleunigt die strukturelle Verlagerung von der Teilzeit- zur Vollzeitbeschäftigung und verstärkt den stetigen Aufwärtsdruck auf Löhne und Einkommen. Während in den vergangenen zwei Dekaden die Überbeschäftigung einen Abwärtsdruck auf die Löhne ausübte und sich nachteilig auf den Konsum auswirkte, wird der Arbeitskräftemangel in Japan nun zum zuverlässigen Impulsgeber für die heimische Nachfrage.
Interessanterweise stiegen die Konsumausgaben von April-Juni stärker als die Arbeitslöhne – die Konsumausgaben stiegen um 2.5 Billionen Yen, das Lohnaufkommen um 1.7 Billionen Yen; damit ging die Sparquote zum ersten Mal seit über drei Jahren zurück. Wir bezweifeln, dass dieser Rückgang einen echten Wandel bei der Sparbereitschaft des japanischen Otto Normalverbrauchers eingeläutet hat. Er lässt aber möglicherweise auf ein wachsendes Vertrauen der privaten Haushalte in die Nachhaltigkeit des erfreulichen Beschäftigungszyklus schließen.
Nach wie vor starker Immobilienzyklus
Die strukturelle Verbesserung der Beschäftigungsqualität – die Vollzeitbeschäftigung nahm in den vergangenen 18 Monaten erstmals seit praktisch 20 Jahren kontinuierlich zu – schafft eine starke Basis für einen Anstieg der Haushaltsgründung und, was noch wichtiger ist, eine steigende Verschuldung der privaten Haushalte (da Teilzeitbeschäftigte faktisch keinen Zugang zu Krediten haben). Der BIP-Bericht bestätigt die anhaltend starken Investitionen in Wohnimmobilien. Sie stiegen um 6% und damit das sechste Quartal in Folge. Wir betonen erneut, dass Japans Aufschwung im Immobilienbereich nicht nur zyklisch, sondern strukturell ist, also eine unmittelbare Folge der demografischen Entwicklung, die gegenwärtig eine steigende Zahl von Haushaltsgründungen umfasst. Gleichzeitig erhalten Haus- und Wohnungskäufer leichter einen Kredit, da immer mehr Banken auf den Hypothekenmarkt drängen. So bemühen sich inzwischen beispielsweise auch regionale Banken um Kunden in den großen Ballungsräumen.
Die wirtschaftliche Vitalität der Unternehmen ist zurückgekehrt
Das CAPEX im Privatsektor, also die Investitionstätigkeit privater Unternehmen, stieg von April-Juni um 9.9% und damit zum achten Quartal in Folge. Während es sich zu Beginn des neuen Geschäftsjahres eindeutig um einen «taktischen» Anstieg der Ausgaben handelte, sind auch die immensen strukturellen Kräfte nicht zu unterschätzen, die höhere Unternehmensinvestitionen erfordern: So wächst der Druck, auf kapitalintensivere Geschäftsmodellen umzusteigen, vor allem im Dienstleistungssektor; Investitionen im IT-Bereich, insbesondere bei Finanzdienstleistungen, sind im Vergleich zur globalen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten; die Automobil- und Automobilzulieferer müssen ihre Produktionsanlagen mit Blick auf Elektrifizierung und AI-fication neu aufstellen; die Rückkehr zur Atomkraft setzt einen Austauschzyklus bei entsprechenden Anlagen in Gang usw. – um nur einige CAPEX-Nachfragetreiber zu nennen. Mittlerweile spricht die Kombination aus extrem niedrigen Zinsen und extrem hohen Barguthaben finanziell betrachtet für zusätzliche Investitionen. Wenn überhaupt, dann legt der allgemeine Anstieg der Rendite auf das investierte Kapital den Schluss nahe, dass sich Investitionen zunehmend auszahlen.
Anlegerfokus – CAPEX bereits auf dem Höhepunkt?
Kurz gefasst: Wir gehen davon aus, dass der Investitionszyklus in Japans Unternehmensbereich weiter anhält. In unseren Augen wird die Visibilität des CAPEX-Zyklus zum wichtigsten Frühindikator für unsere optimistische Haltung gegenüber Japan im Allgemeinen und die Anlegerstimmung im Besonderen avancieren.
Aus technischer Sicht ist es verlockend, eine bevorstehende CAPEX-Abkühlung zu erwarten. Das CAPEX ist inzwischen wieder auf 15.9% des BIP gestiegen – womit es fast einen Prozentpunkt über seinem langfristigen Mittel liegt; Niveaus von über 16% sind äußerst selten und, noch wichtiger, konnten sich niemals lange halten (siehe Abbildung 1). Die Bären unter den Anlegern neigen dazu, für Japan einen CAPEX-Rückgang zu prognostizieren. Wir glauben hingegen, dass es sich dieses Mal anders verhalten wird, denn die oben erwähnten strukturellen Treiber dürften Unternehmensinvestitionen einen dauerhafteren strukturellen Aufschwung bescheren. Von nun an müssen wir ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der Auftragslage im Maschinen- und Anlagenbau sowie die Daten zur Unternehmenskreditvergabe legen, um festzustellen, ob die «Bullen» oder die «Bären» Recht haben.
Kein Raum für politische Selbstzufriedenheit
Angesichts unserer positiven Haltung zur privaten Nachfrage gehen wir davon aus, dass politische Entscheidungsträger im Allgemeinen, aber das «Team Abe» im Besonderen, nichts dem Zufall überlassen. Das Risiko, dass sich eine politische Selbstzufriedenheit ausbreitet, ist gering. Rund ein Drittel des 4%igen BIP-Anstiegs ist der steigenden öffentlichen Nachfrage zuzuschreiben. Hier wird von nun an eine Normalisierung einsetzen. Der öffentliche Sektor dürfte sich in den kommenden Quartalen mit rund -1% als Hemmschuh für das Wachstum erweisen.
Eine weitere Sorge stellen die im letzten Quartal erstmals seit einem Jahr rückläufigen Exporte dar (-1.9%). Auch diese Entwicklung wirft möglicherweise unangenehme Fragen zur weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Japans auf, zumal das zweite Quartal durch eine allgemeine Beschleunigung des globalen Wachstums geprägt war. Noch wichtiger, damit steigen die Gefahren, die eine unkontrollierte Aufwertung des Yen bringen könnte. Die Kombination aus schwachen Exportvolumen und den Risiken einer Yen-Aufwertung könnten ein weiteres negatives Quartal nach sich ziehen und den Beginn eines negativen Trends markieren. In ihren jüngsten Zahlen veranschlagen viele Unternehmen offensichtlich einen Wechselkurs Yen/USD von 108-110. Die Bandbreite der Schätzungen verkleinert sich damit meines Erachtens rapide. Sollten die zunehmenden geopolitischen Unwägbarkeiten weiterhin Aufwärtsdruck auf den Yen ausüben, werden politische Entscheidungsträger in Japan darauf in meinen Augen mit Gegenmaßnahmen reagieren.
Wir glauben nach wie vor, dass das neue Abe-Kabinett weitere fiskalpolitische Lockerungsmaßnahmen präsentieren wird. Es dürfte bis Oktober einen Nachtragshaushalt von rund 5 Billionen Yen vorlegen. In geldpolitischer Hinsicht erwarten wir von der BoJ keine Veränderungen. Die Wachstumsdynamik ist fest eingebettet in beständige Produktivitätssteigerungen und, was noch wichtiger ist, die Inflation bleibt mehr ein theoretisches Problem als eine reale Bedrohung. In der Praxis könnte eine unkontrollierte Aufwertung des Yen dazu führen, dass der Ausblick recht schnell durch steigende Deflationsrisiken getrübt wird: Mit jedem nachhaltigen Anstieg des Wechselkurses um 10 Yen sinkt Japans Headline-Verbraucherpreisindex um 40-60 Bp (jüngster landesweiter CPI +0.4% Y/Y).
Investitionen privater Unternehmen in Japan – Prozentanteil am BIP
Quelle: Bloomberg