Value-Investment ist aus der Mode gekommen
Ist es vorbei mit Value? Oder ist es an der Zeit, dass die Anhänger der Russell-Indizes und des Fama-French1-Faktoransatzes das Kurs-Buchwert-Verhältnis als zentrale Rechengröße zur Bestimmung von Value-Aktien überdenken müssen?
Objektiv betrachtete, gibt es in der Investmentbranche keine „universelle“ Definition dafür, was Value eigentlich ist. Diejenigen, die diesem Ansatz folgen, scheinen „es zu erkennen, wenn sie es sehen“, doch dazu lässt sich fast jede Kombination an Fundamentaldaten heranziehen, so zum Beispiel:
- Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) – eine eher wertorientierte Strategie wäre durch ein niedrigeres Kurs-Gewinn-Verhältnis gekennzeichnet.
- Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) – eine eher wertorientierte Strategie wäre durch ein niedrigeres Kurs-Buchwert-Verhältnis gekennzeichnet.
- Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) – eine eher wertorientierte Strategie wäre durch ein niedrigeres Kurs-Cashflow-Verhältnis gekennzeichnet.
- Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) – eine eher wertorientierte Strategie wäre durch ein niedrigeres Kurs-Umsatz-Verhältnis gekennzeichnet.
- Dividendenrendite – die obigen vier Rechengrößen setzen den Kurs mit einer Fundamentalgröße ins Verhältnis. Bei jeder „Rendite“-Größe wird das Verhältnis umgedreht und die Fundamentalgröße relativ zum Kurs dargestellt. Da die Messung einer höheren Fundamentalgröße (in diesem Fall der Dividende) gegenüber eines niedrigeren Kurses für eine eher wertorientierte Strategie spricht, bedeutet eine höhere Dividendenrendite mehr „Value“ als eine niedrige Dividendenrendite.
Jedes Verhältnis hat seine Vor- und Nachteile, vor allem deshalb, weil bestimmte Arten von Unternehmen ihre Geschäfte auf eine Art und Weise führen, durch die diese Verhältnisse unter Umständen verzerrt werden. Zum Beispiel tendieren Finanzunternehmen typischerweise zu niedrigeren Kurs-Buchwert-Verhältnissen (und höheren Gewichtungen im Rahmen von Value-Ansätzen, die diese Größe heranziehen) als viele Unternehmen in anderen Branchen. Das Problem ist hierbei, dass ein hoher Buchwert des Eigenkapitals, der auf die in einer bestimmten Branche angewendeten Rechnungslegungspraktiken zurückzuführen ist, zu einer Verfälschung in Richtung eines niedrigeren Kurs-Buchwert-Verhältnisses führen kann, da das Verhältnis nicht nur aufgrund eines sinkenden Kurses abnimmt. Um die Risiken abzumildern, die aus solchen Verfälschungen entstehen, wird zur Charakterisierung von Value bei zahlreichen Strategien eine Mischung von Bewertungsverhältnissen eingesetzt.
Gehen wir zurück zu unseren ursprünglichen Erkenntnissen zum Kurs-Buchwert-Verhältnis: Das im September 2018 zu Ende gegangene Jahrzehnt war für das Kurs-Buchwert-Verhältnis als Faktorklassifizierung des Markts das schlechteste Jahrzehnt aller Zeiten.
Abbildung 1: Rollierende 10-Jahres-Renditedifferenzen: günstiges vs. teures Kurs-Buchwert-Verhältnis
Quelle: Fama French Data Library, 30. Juni 1936 bis 30. November 2018. „Teuer“ basierend auf den nach Kurs-Buchwert-Verhältnis am niedrigsten eingestuften 30 % der Unternehmen und „günstig“ basieren auf den höchsten 30 % der Unternehmen. Die Renditen basieren auf den verfügbaren Daten für Unternehmen, die in der Datenbank des Center for Research in Security Prices (CRSP) enthalten sind und an der New Yorker Börse, der American Stock Exchange oder der NASDAQ gelistet werden. Die Portfolios werden nach der Marktkapitalisierung gewichtet und jährlich Ende Juni einem Rebalancing unterzogen.
Die historische Performance ist kein Anhaltspunkt für die künftige Performance und jedes Investment kann im Wert sinken. Ein direktes Investment in einen Index ist nicht möglich.
Abnehmende Aussagekraft?
In ihrer zukunftsweisenden Arbeit zum Faktor führten Fama und French aus: „Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass seine Aussagekraft mit der Zeit abnimmt.”2
Vielleicht werden sie die aktuellen Erkenntnisse in Betracht ziehen.
In 616 der 679 10-Jahres-Perioden3 von 1926 bis Ende 1992 schnitten günstige Aktien besser ab als teure Aktien, wobei der Performance-Vorteil im Median mehr als 500 Basispunkte pro Jahr betrug.
Wie wir jedoch oben anhand des aktuell schlechtesten Jahrzehnts aller Zeiten für Aktien mit niedrigem Kurs-Buchwert-Verhältnis gegenüber Aktien mit hohem Kurs-Buchwert-Verhältnis festgestellt haben, waren die Renditen zuletzt rückläufig.
Dabei handelt es sich nicht nur um eine akademische Übung in Bezug auf die Grenzen einer bewertungsorientierten Investmentstrategie.
Die Russell-Indizes, die 1979 – also vor der Forschungsarbeit von Fama-French – aufgelegt wurden, nutzen das Kurs-Buchwert-Verhältnis als Hauptdeterminante für eine Value-Aktie. Es gibt diese Indizes seit nunmehr 40 Jahren und der Russell 1000 Value Index hat besser abgeschnitten als der Russell 1000 Growth Index.
Doch in Übereinstimmung mit dem aktuellen Abwärtstrend bei der Outperformance hinkt der Russell 1000 Value Index dem Russell 1000 Growth Index in den letzten 30 Jahren um annualisierte 21 Basispunkte hinterher. Die Unterperformance war dabei in jüngster Zeit sogar noch deutlich höher.4
Wodurch wurde die aktuelle Underperformance bei Value verursacht?
Die schwache Performance des Russell Value ist hauptsächlich auf Sektororientierungen zurückzuführen. Wird der Markt im Rahmen einer Value-Strategie nach dem Kriterium Kurs zu Buchwert klassifiziert, führt dies zu chronischen Sektororientierungen, insbesondere in Richtung Finanzaktien und weg von Technologieaktien.
Im Durchschnitt besaß der Russell 1000 Value Index in den letzten zehn Jahren im Finanzwesen ein Übergewicht von 11 % und in der Informationstechnologie ein Untergewicht von 10 %. Diese Engagements sind dauerhaft und werden sich voraussichtlich noch einige Zeit halten.
Abbildung 2: Durchschnittliche aktive Gewichtungen des Russell 1000 Value Index gegenüber dem Russell 1000 Index in den letzten zehn Jahren
Quelle: WisdomTree, FactSet.
Die historische Performance ist kein Anhaltspunkt für die künftige Performance und jedes Investment kann im Wert sinken. Ein direktes Investment in einen Index ist nicht möglich.
Eine Sektor-Attribution der Performance des Russell 1000 Index im Verhältnis zum Russell 1000 Value Index in den letzten zehn Jahren ist bei der genaueren Analyse dieser Performance-Auswirkungen hilfreich.
Von den 210 Basispunkten, um die der Russell 1000 Index gegenüber dem Russell 1000 Value Index besser abgeschnitten hat, entfallen allein 83 Basispunkte auf den Sektor Informationstechnologie.
Abbildung 3: Attribution des Russell 1000 Index vs. Russell 1000 Value Index in den letzten zehn Jahren: Informationstechnologie und Finanzwesen
Quelle: WisdomTree, FactSet, 31. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2018.
Die historische Performance ist kein Anhaltspunkt für die künftige Performance und jedes Investment kann im Wert sinken. Ein direktes Investment in einen Index ist nicht möglich.
Zahlreiche Marktkommentatoren sind der Ansicht, dass der sagenhafte Outperformance-Zeitraum bei Wachstumsaktien zu Ende gehen und Value wieder zu alter Stärke zurückfinden wird.
Dem wird möglicherweise so sein, doch vor allem müsste der Finanzsektor dazu besser abschneiden als der Technologiesektor. Wie sehr glauben Sie daran?
WisdomTree wird sich 2019 noch intensiver mit diesem Thema beschäftigen und sich dabei insbesondere auf neue Indexstrategien fokussieren, die sensibel auf Value reagieren und keine hartnäckigen Sektororientierungen enthalten.
Quelle
1 Bezieht sich auf das 3-Faktoren-Modell nach Fama-French, das von Eugene Fama und Kenneth French zur Darstellung von Aktienrenditen entwickelt wurde.
2 Fama French Research, 1992.
3 Bezieht sich auf die 679 10-Jahres-Perioden (d. h. Juni 1926 bis 1936; Juli 1926 bis 1936 usw.) vom 30. Juni 1926 bis zum 31. Dezember 1992, monatlich gerollt.
4 Zephyr StyleAdvisor, 31. Dezember 1988 bis 31. Dezember 2018.
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