Konflikt in der Ukraine: Ein weiterer Inflationsschock für die Welt
Endlich ist die Debatte beendet: Die Inflation ist keine vorübergehende Erscheinung. Ihr kontinuierlicher Anstieg hat ernsthafte Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Der andauernde Konflikt sorgt neben all dem Leid, den er in der Ukraine verursacht, weltweit für einen weiteren Inflationsschock. Wie schützen sich die Investoren davor?
Auswirkungen der Pandemie sollten nicht überraschen
Inflation nach einer Pandemie ist kein neues Phänomen – das soll aber nicht heißen, dass die COVID-19-Pandemie vollkommen hinter uns liegt. Nach dem Schwarzen Tod im 14. Jahrhundert kam es zu einem Zusammenbruch des Handels, da Versuche unternommen worden waren, die Ausbreitung der Pest einzudämmen, und es aufgrund der überaus hohen Zahl von Todesopfern zu Arbeitermangel gekommen war. Die Welt ist seitdem sehr viel komplexer geworden und sehr viel stärker vernetzt.
In Großbritannien versuchen Fluggesellschaften wie British Airways und EasyJet verzweifelt, mehr Mitarbeiter einzustellen, um die stark gestiegene Reisenachfrage mit einer dezimierten Belegschaft zu decken. Der Londoner Flughafen Heathrow wies vor Kurzem auf seine angespannte Lage hin und ließ verlauten, es müssten vor Sommer noch 12.000 neue Mitarbeiter eingestellt werden1. Nach der ersten Grundregel der Ökonomie handelt es sich dabei um eine hohe Nachfrage und ein knappes Angebot, also um das perfekte Rezept für steigende Preise – Inflation.
Konflikt erhöht Komplexität
Der Konflikt hat das Inflationsproblem noch verstärkt. Er hat Verwerfungen in den bereits angeschlagenen weltweiten Lieferketten aufgedeckt. Russland befindet sich unter den größten Produzenten von Rohstoffen wie Öl, Erdgas, Palladium, Aluminium, Nickel und Weizen. In bestimmten Fällen wurden direkte Sanktionen verhängt. Dabei handelt es sich um den krassesten Fall einer Versorgungsstörung. Dazu gehören beispielsweise die von den USA und Großbritannien verhängten Sanktionen gegen russisches Öl und Gas. Bei anderen Rohstoffen steht dies noch in den Sternen. Es wurden vielleicht keine direkten Sanktionen verhängt, doch mehrere Käufer sehen sich nach Alternativen um. Auf einem bereits angespannten weltweiten Rohstoffmarkt (siehe Abbildung unten) und angesichts begrenzter Optionen, da es sich bei der Rohstoffversorgung um eine Funktion natürlicher Ressourcen handelt, ist dies nicht notwendigerweise einfach.
Abbildung: Mehr Rohstoffe in Backwardation lässt auf Angebotsengpässe schließen
Quelle: WisdomTree, Bloomberg, Stand: 14. April 2022. Bei Backwardation sind die Spotpreise höher als die Futures-Preise. Für dieses Chart wurde Backwardation anhand des ersten und zweiten Futures-Kontrakts für 25 verschiedene Rohstoffe berechnet.
Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Maßstab für zukünftige Ergebnisse und der Wert von Anlagen kann fallen.
Doch damit nicht genug. Die Ukraine ist der weltweit größte Exporteur von Mais, Weizen und Sonnenblumenöl2. Die Ströme dieser Rohstoffe sind aus der Ukraine nicht nur größtenteils zum Erliegen gekommen, auch die Frühjahrspflanzung für die nächste Saison könnte aufgrund von Flucht und zerstörter Infrastruktur deutlich eingeschränkt sein.
Russland und die Ukraine exportieren außerdem 28 % der Düngemittel, die aus Stickstoff, Phosphor und Kalium hergestellt werden3. Engpässe bei Dünger stellen eine Gefahr für die Ernteerträge dar und verstärken die Anspannung bei landwirtschaftlichen Rohstoffen und die Inflation bei Nahrungsmitteln noch weiter.
Mögliche Maßnahmen der Zentralbanken
Die Zentralbanken können dem Flughafen Heathrow keine 12.000 Mitarbeiter vermitteln. Sie können auch den Konflikt nicht beenden. Und sie können mit Sicherheit nicht für Ernährungs- und Energiesicherheit sorgen. Sie können aber das geldpolitische Entgegenkommen schmälern – die einzige Maßnahme, die ihnen zur Verfügung steht. Eine Verschärfung der Geldpolitik hat zum Ziel, die Inflation durch eine Reduzierung des Wachstums unter Kontrolle zu halten. Höhere Zinsen sollen dazu führen, dass weniger neue Hypotheken aufgenommen oder Kreditkarten weniger stark genutzt werden.
Doch eine entgegenkommende Geldpolitik allein hat nicht zu Inflation geführt und eine Zinserhöhung allein wird das Problem auch nicht lösen.
Wie reagieren die Investoren?
Die Investoren ergreifen bereits seit zwölf Monaten Maßnahmen – auch als sich die US-Notenbank noch an die These einer vorübergehenden Inflation klammerte. In den letzten zwölf Monaten sind weltweit über 18 Milliarden USD in Exchange-Traded Products mit breit angelegte Rohstoffkörben geflossen. Davon sind fast 8 Milliarden USD in den letzten drei Monaten hinzugekommen, was für einen sich beschleunigenden Trend spricht4.
Die Investoren entscheiden sich aus drei verschiedenen Gründen für breite Rohstoffe. Erstens stehen Engpässe auf den Rohstoffmärkten im Zentrum des Inflationsproblems. Deshalb besteht eine natürliche Beziehung zwischen steigenden Rohstoffpreisen und allgemein steigenden Preisen. Die Investoren streben ein Rohstoffengagement als Schutz vor Inflation an. Zweitens erfassen breite Rohstoffe einen Teil des strukturellen Nachfragewachstums nach Metallen, das durch die Energiewende ausgelöst wird. Und drittens bieten sie Diversifizierung – nicht nur gegenüber Aktien und Anleihen, sondern aufgrund der Heterogenität der verschiedenen Rohstoffsektoren auch innerhalb des Korbs.
Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wie“
Bis letztes Jahr befanden sich noch viele Investoren in dem Dilemma, ob ein starkes Argument für die Aufnahme eines Inflationsschutzes bestand. Nun scheint sich der Fokus darauf zu richten, wie man sich am besten vor Inflation schützen sollte. Rohstoffe sind nicht die einzige Lösung. Bei vielen scheinen sie im Moment aber am beliebtesten zu sein.
Quelle:
3 Source: Morgan Stanley as reported by CNBC: https://www.cnbc.com/2022/04/06/a-fertilizer-shortage-worsened-by-war-in-ukraine-is-driving-up-global-food-prices-and-scarcity.html
4 Source: Bloomberg, as of 14 April 2022.
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