Makroökonomische Aussichten in Europa: Großbritannien
Strukturelle Schwäche des Pfund Sterling übt Druck auf Wirtschaft und Gilts aus
Die Erwartungen eines harten Brexit, die letztes Jahr für eine deutliche Abwertung des Pfund Sterling gesorgt hatten, haben sich im Prinzip umgekehrt, da nun eine stark geschwächte Premierministerin mit einer Minderheitsregierung die Austrittsverhandlungen mit vermindertem politischen Kapital bzw. verminderten politischen Druckmitteln führen muss. Es scheint, als sei Großbritannien bereit, mehr Zugeständnisse an die EU zu leisten, als bisher angenommen. Der britische Finanzminister Philip Hammond erklärte bereits, die Abstimmung für einen Austritt aus der EU sei keine Abstimmung dafür gewesen, dass Großbritannien zu einem unsichereren oder ärmeren Land werden solle, wodurch er die Wirtschaft über alles andere stellte. Wir sind der Ansicht, dass die durch das Finanzministerium vertretene Haltung dazu beitragen wird, das Pfund Sterling kurzfristig zu stabilisieren.
Vorausschauend wird für die EU eine Festigung der Stabilität innerhalb der EU-Mitgliedschaft selbst Priorität haben, während die zweijährigen Verhandlungen über eine neue Handelsbeziehung zwischen Großbritannien und der EU aufgenommen werden. Deshalb darf zu erwarten sein, dass Großbritannien einige – und möglicherweise wichtige – wirtschaftliche Vorteile, die es als EU-Mitglied genossen hat, entzogen werden. Was das Pfund potenziell am meisten angreifen wird, ist der Verlust von Rechten in Verbindung mit dem Europäischen Pass, die es Banken und Versicherungen ermöglichten, Finanzdienstleistungen frei in der EU zu verkaufen, ohne dazu eine Niederlassung vor Ort einzurichten. Finanzdienstleistungen leisten den größten Beitrag zum britischen Handelsüberschuss. Der Verlust dieser Vorteile bedeutet, dass diese Handelsüberschüsse sinken werden, sofern sie nicht angesichts eines schwächeren Pfund Sterling durch verbesserte Exportbedingungen für Waren ausgeglichen werden. Aufgrund einer überwiegend dienstleistungsorientierten Wirtschaft lässt das Nettoergebnis jedoch auf eine Ausweitung und keine Schrumpfung des britischen Handelsdefizits mit der EU schließen.
Das übertriebene Vertrauen Großbritanniens in ausländisches Kapital zur Finanzierung nicht nur des Handelsdefizits, sondern auch für schuldenfinanzierte Staatsausgaben und die Aufrechterhaltung des Vertrauens in einen bereits gestützten Immobilienmarkt untermauern die strukturellen Schwächen des Pfund Sterling. Dies führt zu einer Geldpolitik durch die Bank of England (BoE), die sich hauptsächlich stagnierend bis friedlich zeigt. Der durch Importkosten verursachte Inflationsdruck, der auf die deutliche Abwertung des Pfund Sterling folgte, lässt die schuldenfinanzierte Kaufkraft der Verbraucher im weiteren Verlauf des Jahres 2017 und angesichts der Anzeichen auf ausbleibende Lohnerhöhungen signifikant schwächer aussehen. Deshalb wird eine Verschärfung der Politik durch die Bank of England wahrscheinlich mit Verzögerung eintreten, da die Preisrückgänge bei Energie und Nahrungsmitteln den Inflationsdruck weiter lindern werden. Die gedämpften langfristigen Inflationserwartungen weisen darauf hin, dass Gilts wahrscheinlich keinem signifikanten Druck unterliegen werden, denn selbst inflationsbereinigt sind die Renditen für britische Gilts mit langer Laufzeit negativ. Gilts könnten jedoch stärker unter Druck geraten, wenn das Pfund Sterling weiter an Wert verliert oder verstärkt durch Volatilität gekennzeichnet ist. Bei Gilts sehen wir eine sinkende Beliebtheit dieser Wertpapiere bei ausländischen Investoren langfristig als Hauptproblem. Die Nettokäufe durch ausländische Investoren betrugen im Zeitraum von 2010 237 Milliarden GBP (auch, als britische Investoren 116 Milliarden GBP im selben Zeitraum auslösten).
Über alle britischen Anlageklassen hinweg sind unserer Ansicht britische Aktien am wenigsten betroffen. Large-Caps werden wahrscheinlich in der Lage sein, die zwei Jahre und möglicherweise noch länger dauernden Verhandlungen über einen weichen Brexit, ebenso wie das steigende strukturelle Ungleichgewicht, verursacht durch die Zwillingsdefizite Großbritanniens, besser abzufangen als Mid- und Small-Caps. Ein Hintergrund aus einer potenziell höheren und volatileren Inflation würde ebenso Aktien mit hoher Dividendenrendite als Einkommensstrategie den Vorzug geben.
Dieser Blogartikel ist Teil einer Serie zu den makroökonomischen Aussichten in Europa. Lesen Sie weitere Blogartikel:
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