Goldpreis über USD 1.400 – wie geht es weiter?
Der Goldpreis bewegt sich derzeit auf einem aus technischer Sicht sehr bedeutsamen Niveau. Ein wichtiger Meilenstein besteht darin, dass der Preis die „Schallmauer“ von USD 1.400 je Feinunze durchbrochen hat und seitdem darüber liegt. Bereits am Donnerstag, dem 20. Juni, hatte er das Niveau von USD 1.350 je Feinunze überschritten. Dieses stellte einen wichtigen Widerstandspunkt dar, denn der Goldpreis war bereits sechs Mal – im September 2017, Januar 2018, Februar 2018, März 2018, April 2018 und Februar 2019 – nicht darüber hinausgekommen. Zudem hat der Anstieg über einen weiteren „runden Betrag“ hinaus auch hohe Symbolkraft. Aktuell hat der Goldpreis den höchsten Stand seit März 2013 erreicht.
Zuvor hatte er letztmalig kurz nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien Mitte 2016 das Niveau von USD 1.350 je Feinunze überschritten. Zum damaligen Zeitpunkt hatten spekulative Engagements in Gold-Futures ein Allzeithoch erreicht.
Die Situation hat sich also ganz eindeutig verändert.
Wir waren bisher davon ausgegangen, dass die US Federal Reserve (Fed) im weiteren Jahresverlauf ihre Position beibehält. Dies gilt selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass der von ihr geplante Zinspfad – die „Dot Plots“ – am Markt als Hinweis auf eine Leitzinsanhebung im Jahr 2020 gedeutet worden war. Vom Markt getrieben, ließ die US-Notenbank dann aber auf ihrer Sitzung im Juni verlauten, dass man den Leitzins im Jahr 2020 möglicherweise senken werde. Der Markt preist nun die Ankündigung einer Absenkung auf der Juli-Sitzung ein.
Die Rendite von über 10 Jahre laufenden US Treasuries sank deutlich unter 2,0 % (von 2,4 % Ende März 2019 und über 3 % im Oktober 2018). Der jüngste starke Anstieg des Goldpreises widerspiegelt die moderate geldpolitische Haltung der Fed und den genannten Renditeverfall bei US-Staatsanleihen.
Nun stellt sich die Frage, ob noch weiteres Aufwärtspotenzial besteht. Unsere Antwort fällt ausgehend von unseren angepassten Annahmen positiv aus.
Grafik 1: Goldpreisprognose WisdomTree
Quellen: Modellprognosen WisdomTree, historische Bloomberg-Daten, Stand 20. Juni 2019
Prognosen lassen keine Rückschlüsse auf künftige Ergebnisse zu. Anlagen unterliegen stets Risiken und Unwägbarkeiten.
Ausgehend von dem von WisdomTree entwickelten, in „Gold: How we value the precious metal“ dargestellten quantitativen Modell prognostizieren wir zum Ende des 2. Quartals 2020 einen möglichen Anstieg des Goldpreises auf bis zu USD 1.480 je Feinunze. Diese Einschätzung basiert auf relativ konservativen Annahmen:
- Voraussichtlich weiter stabiles Renditeniveau von US Treasuries: Am Markt sind überwiegend deutlichere Leitzinssenkungen als von der Fed selbst prognostiziert eingepreist. Die Fed Fund Futures deuten darauf hin, dass der Markt eher von zwei bis drei Senkungen noch im Jahr 2019 ausgeht. Unserer Prognose eines Goldpreises von USD 1.480 liegen dagegen lediglich die aktuellen langfristigen Leitzinsen zugrunde. Eine weitere Zinssenkung würde nur einen noch höheren Goldpreis stützen.
- US Dollar Basket weiter bei ca. 97: Obwohl Leitzinssenkungen in der Regel mit einer Währungsschwäche verbunden werden, steht die Fed mit ihrem moderaten geldpolitischen Ansatz als Notenbank keineswegs allein da. So dürfte sich eine deutliche Auf- oder Abwertung des US-Dollar vermeiden lassen. Angesichts der gegenseitigen Schuldzuweisungen erneut aufflammender „Währungskriege“ könnte Gold im weiteren Jahresverlauf wie auch in der Vergangenheit als sicherer Hafen betrachtet werden. Dies gilt insbesondere für Notenbanken in Schwellenländern, die offenbar auf eine Diversifizierung ihrer Devisenreserven setzen.
- Inflationsrate erreicht voraussichtlich 2 %: Zwar ist eine niedrige Inflationsrate der wesentliche Einflussfaktor für den geldpolitischen Schwenk der US-Notenbank (gemessen am Verbraucherpreisindex liegt die Inflationsrate aktuell bei 1,8 %). Die Gesamtinflation könnte allerdings aus unserer Sicht aufgrund des höheren Ölpreises noch steigen. Der schwachen Rohölnachfrage – die sich beispielsweise aus andauernden Spannungen im internationalen Handel ergeben könnte – würde die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) sicher durch entsprechende politische Entscheidungen entgegenwirken. Das OPEC-Ministertreffen wurde auf den 1. Juli verschoben und findet damit nach dem für den 28. und 29. Juni geplanten G20-Gipfel statt. Das Kartell möchte also die künftige Entwicklung der Nachfragesituation nachvollziehen können (dies ist nur dann möglich, wenn die Entwicklungsrichtung der weltweit größten Verbraucherländer, d. h. der USA und China, erkennbar ist).
- Möglicherweise erhalten die Anleger ihre derzeit sehr positive Einschätzung von Goldanlagen nicht im selben Umfang aufrecht. Angesichts der zahlreichen geopolitischen Risiken besteht hier aber auch Aufwärtspotenzial. In den vergangenen Wochen ist das Volumen der spekulativen Engagements in Gold-Futures deutlich gestiegen und hat unsere Erwartungen übertroffen. Derzeit bestehen netto mehr als 205.000 spekulative Long-Positionen, also ein erheblicher Anstieg von zuvor unter dem Strich 55.000 Short-Kontrakten im Oktober 2018. Aus unserer Sicht dürfte dieses hohe Niveau ausgehend vom Basisszenario nicht zu halten sein (wir gehen von einer Positionierung bei 120.000 Kontrakten aus). Allerdings könnten sich aus unserer Sicht kurzfristig zahlreiche Risiken ergeben, darunter insbesondere die folgenden in den kommenden Wochen:
- Auf dem am 28. und 29. Juni stattfindenden G20-Gipfel werden China und die USA ihren Handelsstreit möglicherweise nicht beilegen können, so dass es zu einer für den Markt enttäuschenden weiteren Eskalation des Handelskrieges zwischen den beiden Ländern kommen könnte.
- Am 27. Juni wird der Iran voraussichtlich die Aufkündigung des Atomabkommens bekannt geben, wodurch das Risiko einer US-Militärintervention gegeben wäre.
Grafik 2: Spekulative Engagements (netto) in Gold-Futures
Quellen: Bloomberg, WisdomTree, Stand 20. Juni 2019
Wertentwicklungen in der Vergangenheit lassen keine zuverlässigen Rückschlüsse auf künftige Ergebnisse zu. Der Wert von Anlagen kann sich auch nach unten entwickeln.
Zusammenfassend besteht für den Goldpreis ausgehend von unserem quantitativen Modell und relativ konservativen Annahmen weiter deutlich „Luft nach oben“.
Prognosen lassen keine Rückschlüsse auf künftige Ergebnisse zu. Anlagen unterliegen stets Risiken und Unsicherheitsfaktoren.
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