Abenomics gehen in die nächste Runde
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Der wirtschaftspolitische Führungsanspruch des japanischen Premierministers Shinzo Abe erhielt in der letzten Woche deutlichen Auftrieb, als sein Kabinett ein großes zusätzliches Ausgabenpaket verabschiedete. Dies bestätigt Japan unter den G7-Staaten als Spitzenland – die einzige Regierung, die in der Lage und Willens ist, eine rationale, pragmatische und entschlossene antizyklische Fiskalpolitik umzusetzen. Japan verliert keine Zeit, während amerikanische und europäische Politiker offensichtlich feststecken und dazu gezwungen sind, ihre eigene Unfähigkeit zur tatsächlichen Entwicklung und Umsetzung einer gezielten, innovativen und zeitgerechten Fiskalpolitik damit zu kompensieren, ständig auf mehr notwendige Maßnahmen durch die Zentralbanken zu verweisen. Das „Team Abe“ nimmt die Dinge einfach selbst in die Hand. Im Ausblick auf das Jahr 2020 verfügt Japan nun über das geringste Risiko einer Rezession.
Aus politischer Sicht ist es verlockend, sich darüber Gedanken zu machen, warum nur Abe in Japan und Xi in China als einzige große Volkswirtschaften übrig sind, in denen die herrschende Elite die Lektionen beherzigt zu haben scheint, die sich aus der einseitigen globalen Besessenheit mit der Geldpolitik ergeben haben. Effektives Krisenmanagement gehörte mit Sicherheit dazu, doch die rückläufigen wirtschaftlichen Erträge und die unverhältnismäßig negativen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stabilität einer vollkommenen geldpolitischen Abhängigkeit sind einfach viel zu gut dokumentiert, als dass sie nicht ernst genommen werden sollten. Letzten Endes sind sowohl die japanische als auch die chinesische herrschende Elite in sich viel zu geschlossen und pragmatisch, um die Zukunft ihrer Länder dem Motto „Zinsen senken, Anlagen kaufen und alles wird gut“ zu überlassen. Was haben Japan und China, was dem „Westen“ fehlt? Sie haben funktionierende Regierungen – China in Form einer undemokratischen Diktatur, Japan in Form einer faktischen qualifizierten Mehrheit in einem demokratisch gewählten Parlament –, die nach der Devise arbeiten: Wer am längeren Hebel sitzt, bestimmt, wo es langgeht – der Rest ist auf Twitter ...
Finanziell sollten die positiven Auswirkungen der Fiskalpolitik auf die Marktentwicklung nicht unterschätzt werden. Es kommt in der Tat auf die Größe an und Abes neues Paket beläuft sich auf riesige 26 Billionen japanische Yen, was fast 5 % des BIP entspricht. Davon soll rund die Hälfte direkten Einfluss auf das BIP nehmen – hauptsächlich durch das Hochfahren der öffentlichen Infrastrukturausgaben. Hierbei handelt es sich teilweise um bereits fast startklare Projekte zum Wiederaufbau nach der schweren Taifunsaison dieses Jahres, teilweise um Projekte, die im späteren Verlauf des Jahres 2020 allmählich eingeführt werden, um einem Abschwung nach den Olympischen Spielen entgegenzuwirken. Alles in allem dürfte es beim BIP 2020 zu einer Steigerung von rund 0,5–0,75 % kommen. Die Konsensprognosen für das nächste Jahr werden nach oben korrigiert werden müssen.
Das „Team Abe“ verdient also zehn von zehn Punkten für die antizyklischen geldpolitischen Maßnahmen, die auf zeitgemäße, entschlossene und pragmatische Weise umgesetzt werden. Doch wie sieht es mit einer echten Strukturpolitik aus, die für einen Anstieg des potenziellen langfristigen Wachstum in Japan sorgt? In diesem Bereich muss noch mehr getan werden.
Hier kommen meine beiden Vorschläge für wirtschaftspolitische Maßnahmen ins Spiel, die die Chancen für den künftigen Wohlstand Japans wie auch für Abes historisches Vermächtnis als Wirtschaftspolitiker deutlich steigern dürften. Zum ersten Vorschlag gibt es bereits erste erkennbare Fortschritte, zum zweiten werden wir 2020 mehr erfahren.
Erstens muss in Japan ein Ökosystem des Unternehmertum gefördert werden, um das Land zu einer Start-up-Nation zu machen: Aus historischer Sicht gibt es nichts, was den nachhaltigen Wohlstand besser sichert als eine blühende Unternehmerkultur. Jeder Anstieg bei der Zahl der Unternehmer um 1 % steigert das potenzielle BIP um ca. 0,5 %. Japan könnte seine potenzielle Wachstumsrate also leicht verdoppeln. Es gibt bereits gute Nachrichten: Der Steuerrat der Regierung hat gerade einen Steueranreiz für Unternehmensinvestitionen in Start-ups vorgeschlagen, wobei 25 % aller Start-up-Investitionen steuerlich absetzbar sind (bis zu einer Million USD). Dieser Steueranreiz dürfte 2020 dem in Japan bereits aufkommenden Trend des Corporate Venture Capital einen deutlichen Schub verleihen. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass dieser Steueranreiz nur für Venture-Capital-Investitionen durch Unternehmen gilt und nicht für reine Risikokapitalfonds. Der Nettoeffekt dürfte für die langfristige potenzielle Wachstumsrate Japans und seine Unternehmensgewinne dennoch positiv ausfallen.
Zweitens müssen die Sozialleistungsansprüche durch die Einführung von Bedürftigkeitsprüfungen gesenkt werden. Um für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen und die Nachhaltigkeit des japanischen Gesundheits- und Sozialversicherungssystems zu gewährleisten, ist die Anhebung der Beiträge im Verhältnis zum Nettofinanzvermögen eine pragmatische Lösung. In der Tat beschäftigen sich Abes Nachwuchskräfte in der Liberalen Demokratischen Partei bereits mit einer möglichen Umsetzung dieser Maßnahme. In einem Land, das sich so aktiv mit dem Schließen der Lücke zwischen Arm und Reich befasst, dürfte die Prüfung der finanziellen Bedürftigkeit im Hinblick auf öffentliche Dienstleistungen politisch mit Sicherheit gut ankommen. In Kombination mit einer stärkeren Deregulierung im medizinischen Dienstleistungssektor sollten die Nettoauswirkungen zur Steigerung des potenziellen Wachstums wie auch zur Reduzierung der finanzpolitischen Unsicherheit beitragen.
Alles in allem zeichnet sich Japan durch vorbildlichen politischen Pragmatismus aus, wobei sowohl der unmittelbare zyklische als auch der langfristige strukturelle Ausblick 2020 und darüber hinaus für positive Überraschungen sorgen dürften. Vor dem Hintergrund attraktiver Bewertungen und einer Rekorduntergewichtung der Positionierung durch in- und ausländische Investoren, könnte Japan im Olympia-Jahr 2020 durchaus zum Spitzenreiter werden.
Dieser Blogartikel spiegelt die Ansichten von Jesper Koll wider. Eine Bezugnahme auf „wir“ sollte als Meinung von Jesper Koll und nicht notwendigerweise als Meinung von WisdomTree Europe interpretiert werden.
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