Rückschlag oder neuer Kurs? Die Märkte reagieren auf erneute nationale Lockdowns
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In ganz Europa, darunter Deutschland, Frankreich, Griechenland, Belgien, Italien, Spanien und seit kurzem auch im Vereinigten Königreich, um nur einige zu nennen, gelten derzeit wieder schärfere Lockdown-Beschränkungen. Ein wesentlicher Unterschied besteht diesmal darin, dass jedes Land eigene Varianten in Bezug auf Aktivitäten eingeführt hat, die eingeschränkt werden müssen, um das Virus einzudämmen. Damit entfernen wir uns von der Lockerung der Beschränkungen, die wir eine Zeit lang beobachtet haben, als die Regierungen versuchten, ihre lokale Wirtschaft von dem starken wirtschaftlichen Abschwung zu erholen, der durch die nationalen Lockdown-Maßnahmen zu Beginn der Pandemie verursacht wurde. Mit dem Einsetzen der Grippesaison und dem Anstieg der Covid-19-Fälle wird das Gesundheitssystem erneut zunehmend belastet, aber jetzt haben die Länder die breit angelegten Auswirkungen der Beschränkungen auf die Wirtschaft gesehen und erwägen verschiedene Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. So hat beispielsweise Frankreich, das voraussichtlich bis zum1. Dezember 2020 im Lockdown bleiben wird, ähnliche Maßnahmen ergriffen wie beim ersten Lockdown. Einzelpersonen dürfen lediglich aus medizinischen Gründen, zum Einkaufen lebenswichtiger Güter und eine Stunde pro Tag für sportliche Aktivitäten die Wohnung bzw. ihr Haus verlassen. Im Gegensatz zum ersten Lockdown bleiben jedoch Schulen, Kitas und Kindergärten geöffnet. Deutschland hingegen geht ab dem2. November für vier Wochen in den Teil-Lockdown, bei dem Geschäfte geöffnet bleiben, sofern die Mindestabstände eingehalten werden können, aber Freizeiteinrichtungen, Theater und Hotels geschlossen werden. Unlängst kündigte das Vereinigte Königreich ähnlich wie Frankreich einen schärferen nationalen Lockdown an, bei dem nicht systemrelevante Geschäfte geschlossen werden müssen, während Schulen, Kindergärten und Kitas geöffnet bleiben4. In diesem Blog werden wir untersuchen, wie der Anleihemarkt auf die jüngste Verschärfung der Lockdown-Maßnahmen in ganz Europa reagiert hat, und der Frage nachgehen, was die europäischen Staatsanleihenmärkte angesichts der schwächeren Wachstumsaussichten stärken könnte.
Obwohl das gegenwärtige Szenario für die europäische Wirtschaft tendenziell weniger positiv ausfällt, können die Auswirkungen als weniger schwerwiegend als beim ersten globalen Lockdown eingestuft werden. Wir sehen bereits jetzt, dass es von Land zu Land unterschiedliche Beschränkungen gibt und, was noch wichtiger ist, dass Unternehmen und Haushalte bereits mehrere Monate unter strengen Beschränkungen verbracht haben, wodurch sie für die zweite Welle besser gerüstet sind. In einigen Fällen haben viele Unternehmen ihre Online-Präsenz erweitert, da die Kunden in der Krise ihr Kaufverhalten hin zu mehr Online-Shopping verlagert haben. Der Tourismus- und Gastronomiesektor wird die Folgen wahrscheinlich wieder zu spüren bekommen, während andere Sektoren davon profitieren oder mehr Unterstützung erhalten werden.
Es scheint, dass sich der Markt derzeit keine Sorgen um die Europäische Zentralbank (EZB) und die Finanzkraft der Europäischen Union zur Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten in dieser Krise macht.
Reaktionen der Staatsanleihemärke
- Deutschland: Das lange Ende der Zinsertragskurve deutscher Staatsanleihen, das einen Einblick in die Wachstumserwartungen der Anleger geben kann, fiel mit einem Rückgang der 30-jährigen Zinsniveaus von -0,16 % am 25. November auf -0,22 % bis zum Ende der Woche, was die Bedenken der Anleger hinsichtlich des künftigen Wirtschaftswachstums infolge neuer Lockdown-Maßnahmen in ganz Europa widerspiegelt.
- Italien: Während die Renditen italienischer Staatsanleihen während des ersten Lockdowns stiegen, hielten sich die Renditen italienischer Staatsanleihen in Grenzen, während die 30-Jahres-Renditen im gleichen Zeitraum von 1,67 % auf 1,59 % fielen.
- Spanien: Auch die Renditen spanischer Staatsanleihen hielten sich in Grenzen, wobei die Renditen entlang der gesamten Kurve allgemein zurückgingen.
Die Staatsanleihen der europäischen Peripherieländer bleiben trotz der in der Woche vom 25. November festgestellten Risk-Off-Stimmung (geringere Risikobereitschaft) am Markt weiterhin von den Anlegern unterstützt, da die Konjunkturmaßnahmen wie das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP, Pandemie-Notfallkaufprogramm) mit einem Umfang von 1,35 Billionen Euro und die Neuausgabe von Anleihen der Europäischen Union (EU) im Oktober im Rahmen des SURE1-Programms starke Signale der Unterstützung für EU-Mitgliedsstaaten setzen.
Wie hat der Markt auf die Neuausgabe von EU-Anleihen zur Bewältigung der Gesundheitskrise reagiert?
Für Investoren sind die im Rahmen des SURE-Programms emittierten EU-Anleihen eine deutliche Aussage der Europäischen Union, die ein geeinteres Europa inmitten der gegenwärtigen Krise zum Ausdruck bringt. Im Rahmen von SURE verpflichten sich die EU-Mitgliedstaaten, einander über die Union zu helfen, indem sie finanzielle Unterstützung in Form von Darlehen zur Verfügung stellen1. Finanzielle Unterstützung in Höhe von 87,9 Milliarden Euro für 17 Mitgliedstaaten wurde bereits genehmigt, wobei die jüngsten EU-Anleihen, die im Oktober 2020 ausgegeben wurden, zur Finanzierung von SURE beitrugen, was nun die Auszahlung der Mittel an Italien, Spanien und Polenermöglicht hat.
Der Markt erwartet auch die endgültige Genehmigung von EU-Anleihen in Höhe von 750 Milliarden Euro zur Finanzierung des EU-Konjunkturfonds, der die EU-Mitgliedstaaten inmitten der Covid-19-Krise weiter unterstützen wird. Abgesehen von der Renditeaufwertung, die EU-Anleihen gegenüber deutschen Staatsanleihen bieten, bedeuten sie auch einen Weg zu einem geeinteren Europa in Krisenzeiten, den wir in der vergangenen Krise nicht immer gesehen haben. Da die Ausgabe von EU-Anleihen im Jahr 2021 wieder anzieht, werden wir wahrscheinlich eine größere Nachfrage seitens der Anleger erleben, da die Ausgabe von europäischen Staatsanleihen und supranationalen Anleihen zunehmend einen Platz in den Portfolios der Anleger findet, die inmitten zukünftiger Unsicherheiten Stabilität schaffen wollen.
1 SURE dient im Notfall als Hilsmittel zur Verringerung der Risiken der Arbeitslosigkeit. https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/economic-and-fiscal-policy-coordination/financial-assistance-eu/funding-mechanisms-and-facilities/sure_en
2 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_1990
3 Wichtigste Punkte aus der Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 20. Oktober 2020. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/about_the_european_commission/eu_budget/sure_1st_dual_tranche_press_release_final_cln.pdf
4 https://www.bbc.co.uk/news/explainers-53640249
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