Wird sich die Politik der Zentralbanken schnell genug ändern, um eine steigende Inflation aufzuhalten?
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Die Weltwirtschaft befindet sich heute inmitten des schwersten Inflationsschocks seit den 1970er-Jahren. Die aktuellen weltweiten Messungen zeigen, wie hartnäckig sich die Inflation hält. Im März erreichte der Gesamtindex der Verbraucherpreise in den USA 8,5 % jährlich und der Erzeugerpreisindex stieg auf 11,2 %. Im Euro-Raum stieg die gesamte Verbraucherpreisinflation sprunghaft auf 7,5 % an und aufgrund der hohen Gaspreise überstieg der Erzeugerpreisindex die Marke von 31 %. Im Hinblick auf Schwellenländer stieg die Verbraucherpreisinflation in Brasilien auf 11,3 %, in Chile auf 9,4 % und in Mexiko auf 7,5 %. Sogar in asiatischen Schwellenländern ist der Inflationsdruck insbesondere unter Rohstoffimporteuren deutlich zu spüren: In Thailand erreicht die Inflation 5,7 % und auf den Philippinen 3,9 %.
Hat die Inflation ihren Höhepunkt erreicht oder nicht?
Ganz klar belastet der Russland-Ukraine-Krieg die Inflationsaussichten schwer. Hinzu kommt der starke Anstieg der COVID-Fälle in China. Die darauf folgenden Lockdowns haben Produktionsstörungen und Engpässe in den Lieferketten verursacht, was voraussichtlich nachhaltigen Aufwärtsdruck auf die Preise von Gütern ausüben wird. Entgegen der allgemeinen Meinung halten wir es für unwahrscheinlich, dass die Inflation demnächst ihren Höhepunkt erreichen wird. Angesichts des hohen Erzeugerpreisindexes in den USA erwarten wir, dass der Verbraucherpreisindex vor einer Mäßigung sogar noch weiter steigen wird. In der Tat wird die Geschwindigkeit, mit der sich die Inflation mäßigt, eine wichtigere Rolle spielen als der Zeitpunkt, an dem sie ihren Höhepunkt erreicht. Der Krieg in der Ukraine setzt die Lieferketten weit über den Energiesektor hinaus stark unter Druck. Russland und die Ukraine sind die größten Exporteure von Weizen, raffiniertem Nickel und Düngemitteln. Im Zuge eines anhaltenden Konflikts erwarten wir, dass der Druck auf die Lieferketten steigen wird. Für Entwicklungsländer, in denen Nahrungsmittel in den Verbraucherpreisindizes einen sehr viel höheren Anteil haben und die Lieferung von wichtigen Agrarprodukten wie Weizen, Mais und Düngemitteln beeinträchtigt werden, könnte sich die Situation schwierig darstellen. Die Rolle der Zentralbanken ist nun im Hinblick auf die kurzfristigen Herausforderungen bei der Eindämmung der Inflation in den Mittelpunkt gerückt.
Zentralbanken schwenken auf restriktive Geldpolitik um
Die US-Notenbank (Fed) hat eine restriktive Richtung ihrer Geldpolitik signalisiert und die Zinsen sind in den USA nicht nur deutlich gestiegen, es werden zudem weitere Zinserhöhungen erwartet. Dieses Jahr werden Zinserhöhungen der Fed um weitere 200 Basispunkte erwartet. Bei den anstehenden Sitzungen des Federal Open Market Committee (FOMC) im Mai und Juni sind Erhöhungen um 50 Basispunkte möglich. Zusätzlich zu den Zinserhöhungen gibt die Fed auch Handlungsempfehlungen bezüglich einer Bilanzverkürzung, die auch als „Quantitative Tightening“ (QT) bezeichnet wird. Die letzten Kommentare des Vorsitzenden Jerome Powell und der Nominierten für den Vize-Posten Lael Brainard lassen darauf schließen, dass es „mit hoher Geschwindigkeit“ zu einem Quantitative Tightening kommen könnte. Die Kombination aus Zinserhöhungen und Quantitative Tightening der Fed wird erwartungsgemäß auf der gesamten Zinsstrukturkurve zusätzlichen Druck auf die Renditen von US-Staatsanleihen ausüben. Die Zentralbanken in China und Japan beabsichtigen, ihre Geldpolitik weiterhin verhältnismäßig entgegenkommend zu gestalten, doch die restriktive Haltung der Fed wirkt sich auch auf die chinesischen und japanischen Zentralbanken aus. Die Chinesische Volksbank (PBOC) zögert bei der Durchführung breit angelegter Zinssenkungen. Stattdessen nutzt sie die sogenannte „Window Guidance“ (Empfehlungen zum Wachstum des Kreditvolumens) und andere Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Banken wichtige Teile der Wirtschaft weiterhin mit Krediten versorgen. In Japan war die Zentralbank diese Woche gezwungen, ihre Anleihenkäufe auszuweiten, da die Investoren weiterhin ihre Fähigkeit austesten, die Zinsen auf einem niedrigen Niveau zu halten. In Europa treiben die Entscheidungsträger die Drosselung der Konjunkturprogramme für dieses Jahr weiter voran. Die Geldmärkte preisen eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % ein, dass es bis Juli zu einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte kommen wird. Eine Erhöhung um 25 Basispunkte im September und Dezember gilt hingegen bereits als sicher.
Chancen bei Fixed Income
Da die US-amerikanischen Geld- und Anleihemärkte von der Fed einen aggressiven Zinserhöhungszyklus erwarten, bleiben Fixed-Income-Investoren, wenn überhaupt, nur wenige Optionen. Herkömmliche Lösungen zum Schutz vor Zinserhöhungen wie inflationsgeschützte US-Staatsanleihen (Treasury Inflation-Protected Securities, TIPS) werden negativ verzinst, da die Realzinsen steil um 100 Basispunkte angestiegen sind. Variabel verzinsliche Anleihen (Floating Rate Notes, FRNs) auf Unternehmensbasis sowie Instrumente mit extrem kurzer Duration verfügen seit Jahresbeginn ebenfalls über eine negative Verzinsung. Im Gegensatz dazu sind Treasury-FRNs eine der wenigen Optionen, bei denen die Investoren positive Ergebnisse erzielen können, da dieses Tool zum Schutz vor Zinserhöhungen jede Woche anhand einer Auktion von US-Schatzanweisungen (UST) mit 3-monatiger Laufzeit (Duration von einer Woche) neu festgelegt wird. Aufgrund dieses wöchentlichen Rücksetzmechanismus können die Investoren im Prinzip „mit der Fed mitschwimmen“, da die 3-monatigen UST-Schatzanweisungen die Zinserhöhungen der Fed zeitnah widerspiegeln.
Abbildung 1 – Vergleich der Faktor-Performance in den letzten 10 Jahren
Quelle: WisdomTree, Bloomberg. Zeitraum vom 20. April 2012 bis zum 20. April 2022. Hinweis: Dividend – MSCI World High Dividend Yield Net Return Index; Value – MSCI World Value Index; Growth – MSCI World Growth Index; Quality – MSCI World Quality Price Index; Minimum Volatility – MSCI World Minimum Volatility Net Return Index; Size – MSCI World Size Tilt Net Return Index.
Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Maßstab für zukünftige Ergebnisse und der Wert von Anlagen kann fallen.
Hohe Dividenden und Value-Faktor schneiden bei Aktien weiterhin am besten ab
Der Faktor Dividendenrendite ist synonym mit einer Anlagestrategie, bei der in Unternehmen investiert wird, die unterbewertet scheinen und sich durch eine stabile und steigende Dividendenentwicklung auszeichnen. Die Korrektur bei den Realzinsen ist 2022 schnell vonstattengegangen. In Erwartung weiterer Zinserhöhungen suchen die Investoren händeringend nach Anlagen mit kurzer Duration. High-Dividend-Strategien verfügen derzeit über Sektorengagements, die mit den Aussichten auf steigende Zinsen übereinstimmen – dazu gehören Übergewichtungen in den eher zyklischen Sektoren Energie, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und Finanzen. Der hohe Dividendenfaktor erfasst nicht nur den Value-Faktor, sondern er erfasst ihn auf eine Weise, durch die er ein höheres Engagement in Unternehmen mit hoher Rentabilität hat. 50 % der Unternehmen im S&P 500 Index verfügen aktuell über eine Dividendenrendite, die höher ist als die Rendite der 10-jährigen US-Treasury-Anleihe, und High-Dividend-Strategien befinden sich alle deutlich über der 10-jährigen US-Treasury-Anleihe. In einer Zeit, in der Rentabilität eine wichtige Rolle spielt, und unrentable Technologieaktien durch steigende Zinsen unter Druck gesetzt werden, entwickeln sich Aktien mit hohen Dividenden wie Anlagen mit kurzer Duration.
Während die Zentralbanken versuchen, die schnell fortschreitende Inflation in den Griff zu bekommen, könnten variabel verzinsliche Anleihen sowie die Faktoren hohe Dividenden und Value von einem Umfeld mit steigender Inflation und steigenden Zinsen profitieren. Sie könnten möglicherweise einen gewissen Schutz vor einigen der grundlegenden Veränderungen bieten, die sich seit Beginn der aktuellen geopolitischen Krise beobachten lassen.
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