Europäische Energiepolitik gibt US-Energie einen potenziellen Vorteil gegenüber Europa
Die Zeit wird für Europa knapp, um seine Wirtschaft inmitten der aktuellen Energiekrise zu schützen. Die Stromkosten entsprechen im europäischen Block fast dem 10-Fachen des 10-jährigen Durchschnitts, da Russland als Reaktion auf Sanktionen das Erdgasangebot zurückgeschraubt hat1. Als direkter Ersatz für das abnehmende Angebot an russischem Gas ist es zu einem deutlichen Anstieg des Anteils an Lieferanten von LNG (Liquefied Natural Gas) und Alternativen gekommen.
Abbildung 1: Erdgasflüsse auf dem europäischen Markt, erste Jahreshälfte 2022 gegenüber erster Jahreshälfte 2021
Quelle: Bruegel, WisdomTree, Stand 6. September 2022. Hinweis: Breite der Pfeile gibt Umfang des Flusses von 2022 an.
Frenetisch versuchen europäische Staatschefs, einen Plan zur Energieintervention auf dem Strommarkt zu entwickeln. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen ist die Erhebung einer Energiezusatzsteuer auf Öl- und Gasgewinne, die Haushalten und Unternehmen im kommenden Winter das Überleben sichern soll. Dem Plan zufolge soll eine Zusatzbesteuerung unerwartete Gewinne aus dem Energiesektor umleiten und inländische Verbraucher und Unternehmen beim Bezahlen dieser hohen Rechnungen unterstützen. Die Zusatzbesteuerung von Öl- und Gasunternehmen sollte laut Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, als „Solidaritätszuschlag“ betrachtet werden.
Erhebung einer Zusatzsteuer auf vom Krieg profitierende Unternehmen
Durch eine Zusatzbesteuerung würde eine Abgabe auf die Umsätze von Unternehmen erhoben werden, die kein Gas verwenden, wenn die Marktpreise 200 Euro pro Megawattstunde (MWh) übersteigen. Diese Überschussgewinne würden daraufhin an bedürftige Unternehmen und Haushalte ausgeschüttet werden. Im Hinblick auf die Zusatzbesteuerung besteht im Vergleich zu anderen Teilen des Fünf-Punkte-Plans der Europäischen Kommission ein höherer Konsens unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Andere Teile umfassen die Festsetzung einer Preisobergrenze für russisches Gas, eine verpflichtende Reduzierung der Stromnachfrage in Stoßzeiten, Finanzmittel für notleidende Versorgungsbetriebe, eine Zusatzsteuer auf Unternehmen für fossile Brennstoffe und Änderungen an den Besicherungsanforderungen für Elektrizitätsunternehmen. Der Plan der Europäischen Kommission muss vor seiner Umsetzung von den Mitgliedsstaaten genehmigt werden. Hauptstreitpunkt ist nach wie vor die Preisobergrenze für russisches Gas – sie soll Russland dafür bestrafen, dass es Energie als Waffe einsetzt.
Bedarf nach koordinierter Energiepolitik trotz unterschiedlichem Energiemix innerhalb der EU
Es bestehen große Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten, von denen einige von Kohle, Kernenergie oder erneuerbarem Strom abhängig sind. Dies macht eine einheitliche Energiepolitik zu einer Herausforderung. Österreich, Ungarn und die Slowakei, die große Mengen russischen Gases importieren, sind gegen eine Preisobergrenze für russisches Gas. Andere EU-Staaten wie Frankreich, Italien und Polen stehen einer Obergrenze hingegen positiv gegenüber, argumentieren aber, dass sie für alle importierten Formen des Kraftstoffs gelten sollte, einschließlich LNG. Deutschland ist noch unentschlossen, fürchtet aber, dass ein Streit über Preisobergrenzen die Einheit innerhalb der EU gefährden könnte. Kritik an den vorgeschlagenen 200 Euro/MWh kam schnell aus Spanien, das sehr viel Wind- und Solarenergie produziert, da dieser Betrag nicht den realen Kosten entspräche und weder die Elektrifizierung noch die Bereitstellung von erneuerbaren Energien unterstütze.
In den USA haben mehrere Senatoren, darunter der Finanzvorsitzende des Senats Ron Wyden, ein Gesetz vorgeschlagen, durch den sich der Steuersatz auf die Überschussgewinne von Öl- und Gasunternehmen verdoppeln würde. Doch angesichts des aktuellen politischen Klimas scheint es zunehmend unwahrscheinlich, dass diese Vorschläge im Kongress Unterstützung finden werden.
Europäische Energiepolitik belastet kurzfristig voraussichtlich die Investitionen
Seit dem Preiseinbruch bei Öl von 2014 bis 2016 sowie dem zunehmenden Bewusstsein im Hinblick auf den Klimawandel und ESG-Mandaten (Environmental, Social und Governance) ist es im Energiesektor zu einem starken Investitionsrückgang gekommen. Der Investitionsaufwand im weltweiten Energiesektor ist seitdem nicht mehr auf das Niveau gestiegen, das auf dem Höhepunkt im Jahr 2014 verzeichnet wurde. Obwohl die Investitionstrends im europäischen Energiesektor begonnen hatten, die in den USA zu überholen, was hauptsächlich auf einen Anstieg des Ausgabenanteils für saubere Energie zurückzuführen war, ist es unseres Erachtens wahrscheinlich, dass die bevorstehende Energiekrise und Energiepolitik, einschließlich der nationalen Zusatzabgaben in Europa, Investitionen in Europa – verglichen mit den USA – mittelfristig voraussichtlich abträglich sein werden. Hohe Preise bieten mehreren Ländern einen Anreiz, verstärkt in fossile Brennstoffe zu investieren, da sie versuchen, ihre Versorgungsquellen zu sichern und zu streuen.
Quelle: Bloomberg, WisdomTree, Stand 31. August 2022.
Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Maßstab für zukünftige Ergebnisse und der Wert von Anlagen kann fallen.
Durch die unterschiedlichen Energiepolitiken und vorherrschenden Angebotssituationen in den USA und Europa ergibt sich im Energiesektor eine potenzielle Chance. Der Energiesektor ist 2022 auf den weltweiten Aktienmärkten ein einzigartiger Lichtblick und verzeichnete im ersten Halbjahr 2022 die höchsten Gewinne. Trotz der guten Preisentwicklung wird der US-Energiesektor2 mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 8 gehandelt und verfügt über eine Dividendenrendite von 3 %. Im September 2008 besaß der Energiesektor ein Gewicht von 12,5 % im S&P 500 und war nach der Marktkapitalisierung der viertgrößte Sektor in der weltweit größten Volkswirtschaft bzw. auf dem weltweit größten Aktienmarkt. Heute macht der Energiesektor im S&P 500 Index nur 4 % aus. Obwohl die Zukunft umweltfreundlicher aussieht, ist man zu dem Schluss gekommen, dass Öl und Gas zwischenzeitlich zur Deckung des Energiebedarfs notwendig sind. Die Investitionen steigen in allen Teilen des Energiesektors, doch der Hauptantrieb kommt in den letzten Jahren aus dem Stromsektor – hauptsächlich in erneuerbare Energien und Netze – und aus höheren Ausgaben für die Endenergieeffizienz3. Mit der Reduzierung seiner Abhängigkeit vom russischen Energieangebot wird Europa stärker von LNG-Importen aus den USA abhängig. Dies dürfte im US-Energiesektor zwischenzeitlich zu weiteren Investitionen führen.
Ein Beispiel für einen relevanten Index für US-Aktieneinkommen ist der WisdomTree US Equity Income UCITS Index, der im Vergleich zum S&P 500 Index ein sehr viel höheres Engagement im Energiesektor (19,8 %) aufweist, wie die Tabelle unten zeigt. Dies ermöglichte ihm eine Outperformance gegenüber dem S&P 500 Index, der Benchmark.
Quelle: Bloomberg, Morningstar, WisdomTree, Stand 31. August 2022
Quelle
1 Financial Times, Stand 29. August 2022
2 Quelle: Bloomberg, MSCI US Energy Sector Index – Tickercode MXUSOEN Index
3 Internationale Energieagentur (IAE) – World Energy Investment 2022